Objektkonstanz – Wie Du Nähe hältst, wenn jemand geht
- Stefanie Evita Ibrahim
- vor 2 Tagen
- 3 Min. Lesezeit

Wenn Nähe sich plötzlich auflöst
Kennst Du das Gefühl, jemand ist noch da – aber Du spürst ihn oder sie nicht mehr? Als wäre die Verbindung auf einmal gekappt? Ein Streit, ein Rückzug, ein nicht beantwortetes „Ich liebe Dich“ – und innerlich breitet sich Leere aus. Es kann sein, dass Du dann alles tust, um die Nähe wiederherzustellen: anrufen, klammern, Dich erklären, Dich entschuldigen. Oder Du ziehst Dich zurück, kapselst Dich ab, weil Du nicht verletzt werden willst. Das hat oft mehr mit der Vergangenheit zu tun, als mit dem Menschen vor Dir.
Was ist Objektkonstanz?
Objektkonstanz bedeutet: Ich kann innerlich mit Dir verbunden bleiben – auch wenn Du gerade nicht da bist. Ich weiß: Du bist mir weiterhin zugewandt, auch wenn Du gerade mit Dir selbst beschäftigt bist. Ich fühle: Unsere Beziehung trägt, auch durch Distanz.
Der Begriff stammt ursprünglich aus der Entwicklungspsychologie und wurde in den 1930er Jahren vom Schweizer Psychologen Jean Piaget (1896–1980) geprägt. In seinen Studien zur kindlichen Entwicklung entdeckte er, dass Kinder etwa zwischen dem 6. und 12. Lebensmonat beginnen, die sogenannte Objektpermanenz zu entwickeln: das Wissen, dass eine Person oder ein Objekt weiter existiert, auch wenn sie oder es gerade nicht sichtbar ist.
In den 1950er und 60er Jahren griffen die Psychoanalytiker Donald Winnicott (1896–1971) und Margaret Mahler (1897–1985) das Konzept auf und erweiterten es. Sie übertrugen es auf die emotionale Ebene: Die Fähigkeit, eine liebevolle Beziehung innerlich aufrechtzuerhalten, auch wenn diese nicht gerade aktiv gespürt wird – etwa bei Konflikten, Distanz oder Schweigen.
Wenn Objektkonstanz fehlt
Nicht jeder Mensch hat diese Fähigkeit in der Kindheit erlernen können. Wenn Bezugspersonen unzuverlässig waren, emotional nicht verfügbar, sich zurückgezogen oder ambivalent verhalten haben, konnte keine innere Sicherheit entstehen. Dann kann es sein, dass Du auch als Erwachsene:r in engen Beziehungen auf Unsicherheit, Rückzug oder Schweigen überreagierst – weil sich Nähe nicht selbstverständlich anfühlt.
Diese Unsicherheit zeigt sich oft in Gedanken wie:
„Er meldet sich nicht – liebt er mich überhaupt?“
„Sie wirkt abwesend – bin ich ihr egal geworden?“
„Ich muss es sofort klären, sonst verliere ich ihn.“
Hinter solchen Gedanken liegt oft nicht das aktuelle Geschehen – sondern eine alte, tief verankerte Angst, wieder verlassen zu werden.
Und jetzt? Was Du heute tun kannst
Auch wenn die Grundlagen für Objektkonstanz in der frühen Kindheit gelegt werden – sie lassen sich im Erwachsenenalter weiterentwickeln. Das braucht Zeit, Wiederholung und vor allem: neue Erfahrungen, die dem alten inneren Skript etwas entgegensetzen.
Hier einige konkrete Strategien:
Arbeite mit der Vorstellungskraft.
Stell Dir in Momenten der Trennung bewusst vor, wie die geliebte Person gerade ihr Leben lebt, ohne dass die Verbindung zu Dir dadurch verschwindet. Rituale wie kurze Nachrichten oder ein kleines Symbol, das Dich an sie erinnert, können helfen, die emotionale Brücke zu halten.
Schreibe Dir selbst Bindungsbriefe.
Notiere Dir, was Du über die Beziehung weißt – wenn Du gerade nicht im Kontakt bist. Zum Beispiel: „Er hat mir gestern gesagt, dass er mich liebt. Das gilt auch heute, auch wenn er sich gerade nicht meldet.“
Nimm Körperempfindungen ernst.
Oft zeigt sich das Gefühl von Getrenntsein als Unruhe, Druck auf der Brust oder ein leerer Bauch. Lerne, diese Signale zu erkennen und regulierend darauf zu reagieren – zum Beispiel durch Atemübungen, Selbstberührung oder Bewegung.
Führe einen „Verbindungsanker“ ein.
Das kann ein bestimmter Satz sein, ein Lied, ein Geruch – etwas, das Dich an sichere Nähe erinnert. So bleibst Du emotional angebunden, auch in Zeiten der Distanz.
Reflektiere alte Bindungsmuster.
In einem sicheren, evtl. therapeutischen Rahmen kannst Du erforschen, welche inneren Überzeugungen Du über Beziehung mit Dir trägst – z. B. „Wenn ich nicht gesehen werde, bin ich nichts wert.“ Diese Glaubenssätze dürfen angeschaut und langsam ersetzt werden.
Übe stabile Beziehungen.
Pflege Kontakte, die Dir guttun – in denen Du Rückzug und Wiederkehr erleben kannst, ohne dass die Verbindung zerreißt. Auch kleine, verlässliche Begegnungen (z. B. mit Kolleg:innen oder Freund:innen) nähren Dein inneres Bindungssystem.
Gib Dir Zeit.
Objektkonstanz wächst wie ein Muskel – durch Erfahrung, Geduld und das Erleben von Sicherheit. Sei sanft mit Dir, wenn alte Ängste sich zeigen. Sie sagen nicht, dass Du falsch bist – sondern dass Du dabei bist, neu zu lernen.
Innere Sicherheit wächst mit Dir
Objektkonstanz ist keine Theorie – sie ist gelebte, gespürte Beziehung. Sie hilft Dir, in der Liebe nicht dauernd den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sie lässt Dich vertrauen, auch wenn es wackelt. Und sie beginnt in Dir: Mit jedem Moment, in dem Du lernst, Dich selbst zu halten – wenn jemand anderes es gerade nicht kann.
In meiner Praxis unterstütze ich Dich sehr gerne auf diesem Weg. Nimm jetzt Kontakt zu mir auf.