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Bindungsangst in Partnerschaften: zwischen Wunsch und Rückzug

Aktualisiert: 27. Juni

Die Ambivalenz zwischen Autonomie und Verbindung


Nähe und Verbundenheit sind Grundbedürfnisse des Menschen. Wir alle wünschen uns Beziehung, Berührung, ein Gegenüber, das uns sieht, versteht und bleibt. Und doch kann genau diese Nähe beängstigend sein – besonders dann, wenn frühere Erfahrungen uns gelehrt haben, dass emotionale Bindung auch Schmerz bedeutet. In diesem Artikel geht es um Bindungsangst: Was sie ist, wie sie sich zeigt, woher sie kommt – und wie wir beginnen können, ihr die Schärfe zu nehmen.

 

Was ist Bindungsangst?


Bindungsangst ist die oft unbewusste Angst davor, sich emotional auf eine andere Person einzulassen, auch wenn auf der bewussten Ebene der Wunsch nach Beziehung stark vorhanden ist. Menschen mit Bindungsangst erleben innere Konflikte: Einerseits wünschen sie sich Nähe und Intimität, andererseits erleben sie diese als bedrohlich und überfordernd.


Sie ziehen sich zurück, wenn es emotional wird, finden immer wieder (scheinbare) Gründe, warum die Beziehung nicht passt, flüchten sich in Arbeit oder Affären – oder bleiben in einer Dauerschleife des Zweifels: „Ist er wirklich der Richtige?“ / „Würde ich sie vermissen, wenn sie geht?“ / „Fühle ich genug?“


Typische Merkmale können sein:


  • Rückzug, wenn die Beziehung enger wird

  • Angst vor Verlust der Autonomie

  • Starke Selbstzweifel oder kritische Gedanken über die andere Person

  • Hohe Idealisierung von Ex-Partner:innen

  • Schwierigkeit, eigene Gefühle klar einzuordnen oder auszudrücken

 

Psychologische Hintergründe: Woher kommt Bindungsangst?


Bindungsangst ist kein „Charakterfehler“, sondern oft die Folge früher Bindungserfahrungen. Hier kommt das Konzept des Bindungstyps ins Spiel, das auf den Bindungstheorien von John Bowlby und Mary Ainsworth basiert.

Bindungssichere Menschen haben in ihrer frühen Kindheit erlebt, dass ihre Bezugspersonen zuverlässig, feinfühlig und emotional verfügbar waren. Sie konnten Nähe zulassen, weil sie sicher waren, dass sie nicht überfordert oder verlassen werden.


Menschen mit unsicher-vermeidender Bindung hingegen haben erfahren, dass emotionale Bedürfnisse nicht willkommen sind. Nähe wurde zurückgewiesen oder war mit Schuldgefühlen verknüpft. Die Botschaft lautete: Sei stark, sei angepasst – aber sei bloß nicht bedürftig.

Bei unsicher-ambivalenter Bindung gab es ein Wechselspiel zwischen Nähe und Zurückweisung, was zu einem starken Bedürfnis nach Bindung führte – gepaart mit der Angst, sie jederzeit wieder zu verlieren.


In beiden Fällen entsteht eine innere Alarmanlage, die Nähe mit Unsicherheit und Kontrollverlust verknüpft.


Wenn Beziehung triggert


In Paarbeziehungen werden genau diese unbewussten Prägungen oft aktiviert – besonders dann, wenn ein Partner eher „vermeidend“ und der andere „bindungsorientiert“ ist. Ein klassisches Tanzmuster entsteht: Einer zieht sich zurück, der andere rückt nach. Der eine braucht Luft, der andere Sicherheit.


Diese Dynamiken können tief verunsichern und führen oft zu Missverständnissen: „Du liebst mich nicht!“ trifft auf „Du erdrückst mich!“ Dabei sprechen beide von ihrer Angst – aber in unterschiedlichen Sprachen.

 

Was hilft bei Bindungsangst?


Der erste und wichtigste Schritt ist Bewusstheit. Wenn ich beginne zu verstehen, dass mein Rückzug kein Beweis dafür ist, dass ich den anderen nicht liebe – sondern Ausdruck einer alten Angst – entsteht ein neuer Handlungsspielraum.


Therapeutisch hilfreich sind insbesondere:


  • Arbeit mit dem inneren Kind: Viele Ängste stammen aus einer Zeit, in der wir noch keine Worte hatten. Die Verbindung zum jüngeren Ich kann helfen, alte emotionale Erfahrungen zu verstehen und zu heilen.

  • Systemische Aufstellungen oder Genogrammarbeit: Diese machen generationsübergreifende Beziehungsmuster sichtbar und können helfen, Loyalitäten und Übertragungen zu erkennen.

  • Emotionsfokussierte Paartherapie (EFT): Diese Methode unterstützt Paare darin, unter den Konflikten die tiefer liegenden Bindungsbedürfnisse zu entdecken und zu kommunizieren.

  • Selbstmitgefühl entwickeln: Bindungsängstliche Menschen kämpfen oft mit Scham und Selbstkritik. Eine mitfühlende innere Haltung schafft Sicherheit – auch in Momenten der Nähe.

 

Fallbeispiel aus meiner Praxis


Nina (34) und David (37)* sind seit drei Jahren ein Paar. Sie lieben sich und geraten doch immer wieder in dieselbe Schleife: Nähe, Rückzug, Streit. Besonders, wenn es um gemeinsame Zukunftsfragen geht (Zusammenziehen, Kinderwunsch), wird es schwierig. David zieht sich dann oft tagelang emotional zurück, Nina fühlt sich ungeliebt und klammert sich stärker an ihn – was seinen Rückzug weiter verstärkt.

In den ersten Sitzungen wurden typische Dynamiken sichtbar: David hat in seiner Kindheit gelernt, seine Gefühle für sich zu behalten. In einem leistungsorientierten Elternhaus war Autonomie gleichbedeutend mit Sicherheit – emotionale Abhängigkeit galt als Schwäche. Nähe bedeutete Kontrollverlust. Nina hingegen hatte eine alleinerziehende Mutter, die häufig emotional instabil war. Sie wurde früh zur „Kümmerin“ und sehnte sich im Erwachsenenleben stark nach Verlässlichkeit, Sicherheit und emotionaler Verfügbarkeit.


In einer gemeinsamen Sitzung machten wir mithilfe der Emotionsfokussierten Paartherapie (EFT) unter der Oberfläche liegende Bedürfnisse sichtbar: David konnte – zum ersten Mal – formulieren, dass Nähe ihn verunsichert, weil er Angst hat, sich selbst zu verlieren. Nina erkannte, dass ihr Klammern oft aus einer kindlichen Angst heraus entsteht, wieder emotional „verlassen“ zu werden.


Ein besonders heilsamer Moment entstand durch eine angeleitete Dialogübung, in der beide sich in Ich-Botschaften zuwenden sollten – ohne Lösung, nur mit dem Ziel, das emotionale Erleben hörbar zu machen. Nina sagte: „Wenn Du Dich zurückziehst, spüre ich diese alte Angst in mir, dass ich allein gelassen werde. Dann klammere ich mich, weil ich Dich behalten will – nicht, weil ich Dich kontrollieren will.“ David entgegnete: „Wenn Du mich so brauchst, habe ich das Gefühl, ich kann nicht atmen. Aber es hat nichts mit Dir zu tun, sondern mit mir. Ich wurde als Kind nie gefragt, was ich fühle. Jetzt macht mich das hilflos.“


Mit der Zeit lernten beide, emotional zu deeskalieren und sich früher im Prozess ihrer Reaktionen zu erkennen. David übte, Nina bei Rückzug kurze, ehrliche Signale zu senden („Ich brauche kurz Zeit, aber ich bin da.“), was ihre Verlustangst deutlich reduzierte. Nina arbeitete parallel in Einzelsitzungen daran, ihr inneres Kind zu stärken und in Momenten der Unsicherheit für sich selbst Halt zu finden.


Heute führen die beiden eine bewusstere, verbundene Beziehung – nicht ohne Herausforderungen, aber mit dem Wissen: Nähe darf sein, auch wenn sie manchmal Angst macht.

 

Fazit

Bindungsangst ist kein Zeichen dafür, dass etwas mit Dir „falsch“ ist, sondern ein Ausdruck früher Beziehungserfahrungen, die Dich geprägt haben. Wenn Nähe Angst macht, lohnt es sich, liebevoll hinzuschauen: Woher kommt diese Angst? Welche alten Geschichten wirken noch in meinem Heute?


Der Weg aus der Bindungsangst beginnt mit dem Mut zur Selbstbegegnung – und der Erfahrung, dass Nähe nicht Bedrohung bedeutet, sondern auch Sicherheit, Entwicklung und tiefe Verbindung sein kann.

 

Ihr wünscht euch Begleitung?


Wenn Du Dich oder einer von euch sich in diesem Artikel wiederfindet und ihr spürt, dass es Zeit ist, euch euren Beziehungsthemen zuzuwenden, begleite ich euch gerne – einfühlsam, systemisch fundiert und auf Augenhöhe. Meldet euch bei mir.

 

 *Redaktioneller Hinweis: Meine Fallbeispiele basieren stets auf realen Fällen, sind jedoch zum Schutz meiner Klientinnen und Klienten so verfremdet, dass ein Wiedererkennen nicht möglich ist.

 
 
 

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